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Neue Realität vs. überfällige Hausaufgaben
Über KI, Dashboards und „Data-Driven“ ist in den letzten Jahren viel geredet worden.
2026 ist das Jahr, in dem sich zeigt, wer daraus ein Steuerungsmodell für Wachstum und Profit gebaut hat - und wer immer noch mit Reporting-PDFs ohne echte Konsequenz arbeitet.
Sinnvoll ist, die Entwicklung in zwei Ebenen zu trennen:
- Was 2026 wirklich neu ist - neue Spielregeln durch AI, Realtime und neue Interfaces.
- Was wir seit Jahren wissen, aber endlich umsetzen müssen - damit Marketing und Commerce überhaupt belastbar messbar bleiben.
I. Was 2026 wirklich neu ist
1. Analytics wird AI-native - Co-Pilots statt Reporting-Fabriken
Die eigentliche Zäsur ist nicht „noch ein KI-Feature im Tool“, sondern KI im Arbeitsalltag.
Marketer sprechen ihr BI- oder Analytics-System in natürlicher Sprache an, lassen sich Hypothesen und Budgetvorschläge generieren und starten mit vorbereiteten Auswertungen in ihre Meetings - statt mit Rohdaten.
Co-Pilots helfen, erste Fragen zu stellen, Daten zu filtern, Abweichungen zu erkennen oder SQL-Queries vorzuschlagen. Standard-Reports laufen im Hintergrund, während sich Analyst:innen auf Roadmaps, Experimente und Steuerungsfragen konzentrieren.
Damit Analytics nicht zur Blackbox wird, braucht es aber umso mehr Struktur davor: saubere Tracking-Pläne, klar definierte Schemas und ein gemeinsames Verständnis der Kennzahlen.
Kurz gesagt verschiebt sich der Job von „Berichte produzieren“ hin zu hypothesengetriebenem Arbeiten:
Was wollen wir wissen? Welche Entscheidung leiten wir daraus ab? Welche Daten brauchen wir dafür?
Wichtige Konsequenzen 2026
- Tools auswählen und konfigurieren, die Conversational Analytics wirklich können - nicht nur im Sales-Pitch.
- Teams befähigen, mit Co-Pilots zu arbeiten: richtige Fragen stellen, Ergebnisse bewerten, Bias erkennen.
- Standard-Reports maximal automatisieren, damit Kapazität frei wird für Strategie, Experimente und Entscheidungen.
2. Von Web-Analytics zu Answer- & Agent-Analytics
Traffic passiert nicht mehr nur auf der eigenen Website. Ein relevanter Teil der Nutzerinteraktion läuft inzwischen:
- in AI-Overviews und Antwortboxen von Suchmaschinen,
- in Chatbots, Agenten und Conversational Interfaces,
- in integrierten Frontends von Marktplätzen, Social-Commerce-Umgebungen und Apps.
Die klassische Welt aus Pageviews und Sessions reicht dafür nicht mehr aus. Relevante Fragen werden:
- Wird unsere Marke in Antworten überhaupt erwähnt - und in welchem Kontext?
- Tauchen unsere Produkte in Empfehlungslisten und generierten Overviews auf?
- Welche Rolle spielen Reputation und Brand Signals für diese Recommendation-Engines?
Noch sind die Schnittstellen und Metriken im Aufbau. Strategisch sinnvoll ist es aber bereits jetzt, diese Umgebungen als eigene Kanäle im Reporting zu denken und Szenarien zu modellieren:
Was passiert mit unserem Funnel, wenn 20-30 % der Erstkontakte in einem LLM stattfinden und nicht auf einer SERP?
Wichtige Konsequenzen 2026
- Answer- und Agent-Umgebungen in KPI-Modelle und Dashboards integrieren (auch wenn zunächst nur qualitativ).
- Content, Informationsarchitektur und Brand-Auftritt so gestalten, dass sie für LLMs gut interpretierbar sind (klare Fakten, saubere Entitäten, sichtbare Vertrauenssignale).
- Früh Erfahrungen sammeln, wie sich Empfehlungen in Answer-Interfaces auf Traffic, Brand Search und Conversion auswirken.
3. Realtime Commerce & Event Streaming im Mittelstand angekommen
Realtime-Analytics und Event-Streaming waren lange den großen Plattformen vorbehalten. 2026 halten sie spürbar Einzug in fortgeschrittene Mittelständler und skalierende E-Commerce-Player.
Preise, Bestände, Gebote und Creatives werden zunehmend auf Basis von laufenden Ereignisströmen gesteuert. Wenn ein Produkt in bestimmten Größen knapp wird, können Kampagnen automatisch gedrosselt oder pausiert werden. Wenn ein TikTok-Creative explodiert, laufen Budgets und Bestandsplanung nahezu in Echtzeit hinterher. Marketing-, Shop- und Logistikdaten landen in einer gemeinsamen Event-Schicht, auf der Automatisierungen und Alerts aufsetzen.
Wichtig ist: Realtime darf nicht zum Selbstzweck werden. Der Mehrwert entsteht dort, wo Geschwindigkeit tatsächlich Business-Impact
Wichtige Konsequenzen 2026
- Einstieg über konkrete Realtime-Use-Cases (Bestand, Preis, Kampagnen-Trigger) statt Big-Bang-Architektur.
- Marketing und E-Commerce früh in Architekturentscheidungen einbinden, damit kein reines IT-Projekt ohne Nutzen entsteht.
- Realtime nur dort ausrollen, wo ein klarer, messbarer Vorteil gegenüber Batch-Verarbeitung entsteht.
4. „MMM light“ und Incrementality werden operativ nutzbar
Marketing-Mix-Modeling und Inkrementalitätsmessung galten lange als Spezialdisziplin mit hohem Projektaufwand. 2026 entstehen pragmatische Formen, die alltagstauglich sind und sich direkt an BI-Stacks andocken lassen.
Unter „MMM light“ verstehen wir Modelle, die auf bestehenden Daten (Media, Umsatz, Saisonalität, Preisaktionen, Offline-Effekte) aufsetzen und Budgetrahmen über Kanäle und Märkte hinweg optimieren - ohne den Anspruch eines vollumfänglichen, wissenschaftlichen MMM. Tools wie klar oder spezialisierte SaaS-Anbieter liefern hier praktikable Ansätze.
Parallel dazu etablieren sich Always-on-Experimente als Normalfall: Geo-Splits, CRM-Holdouts, Creative- und Funnel-Tests mit klar definierten Inkrementalitätsfragen. Sie helfen, Plattform-Attribution, MMM-Modell und Business-Logik gegeneinander zu kalibrieren.
Wichtige Konsequenzen 2026
- Mindestens ein Incrementality-Programm pro Jahr und Markt planen - nicht nur „einen großen Test im Q4“.
- MMM/Attributionsmodelle als Steuerungsinstrument für Budgetrahmen nutzen, nicht als akademisches Selbstzweckprojekt.
- Teams daran gewöhnen, mit widersprüchlichen Signalen (Attribution vs. MMM vs. Experiment) zu leben und trotzdem robuste Entscheidungen zu treffen.
5. Growth Analytics: Marketing, Produkt & CRM verschmelzen weiter
Die Grenzen zwischen Marketing-, Produkt- und CRM-Analytics lösen sich weiter auf. Relevante Fragestellung ist nicht mehr: „Wie performt Kanal X?“, sondern:
„Wie steigern wir den Kundenwert über den gesamten Lebenszyklus - welcher Touchpoint trägt was dazu bei?“
Dafür braucht es ein gemeinsames Event- und ID-Modell für Marketing, Produkt und CRM. Funnels hören nicht an der „Conversion“ auf, sondern laufen weiter über Signup, Nutzung, Aktivierung, Wiederkauf und Churn-Prävention. Dashboards stellen diese Journey durchgängig dar, und Experimente kombinieren Maßnahmen aus Acquisition, Product und Lifecycle.
Das ist keine Kür, sondern die logische Antwort auf steigende CACs, härtere Datenschutzregeln und den Wettbewerb um Wiederkaufsraten und CLV.
Wichtige Konsequenzen 2026
- Ein einheitliches Event-Schema und ID-Konzept definieren, das alle Teams nutzen.
- Dashboards aufbauen, die end-to-end zeigen: Ad-Impression → Kauf → Nutzung → Wiederkauf.
- Hypothesen und Tests immer häufiger cross-funktional
designen (z. B. Kampagne + Feature-Release + CRM-Journey).
II. Was wir seit Jahren wissen - und 2026 endlich umsetzen müssen
Neben allen neuen Entwicklungen gibt es die Hausaufgaben, ohne die keine KI, kein MMM und kein Co-Pilot sinnvoll arbeiten kann. Genau hier wird sich 2026 entscheiden, wer Analytics ernsthaft beherrscht.
6. Von Kanal-KPIs zu Profit- & CLV-Steuerung
Dass Klicks, Impressions und kurzfristiger ROAS zu kurz springen, ist seit Jahren bekannt - umgesetzt ist es selten. Viele Reports enden nach wie vor bei Oberflächen-KPIs, ohne Marge, Retouren, Logistikkosten oder Lifetime Value.
2026 ist das schlicht zu teuer. Wer Budgets fünf- bis siebenstellig bewegt, muss Deckungsbeitrag (DB/DB2) und Customer Lifetime Value als Standardgrößen etablieren. Dazu gehören auch Kennzahlen wie „Time to Payback“ und kanalübergreifende Profit-Sichten: Welche Kombination aus Kampagne, Kanal und Zielgruppe liefert wirklich nachhaltigen Wert?
Ohne diese Perspektive optimiert jede KI nur das, was sie sieht. Sind die falschen KPIs hinterlegt, skaliert sie systematisch in die falsche Richtung.
Wichtige Konsequenzen 2026
- Profit- und CLV-Kennzahlen in BI/Reporting verankern - idealerweise pro Kanal, Kampagne, Creative.
- Budgets auf Business-Ziele (DB, Wachstum, Payback-Zeit) steuern, nicht auf Plattform-ROAS.
- Ziele und KPI-Logik im Management verbindlich vereinbaren - sonst zieht jede Abteilung in eine andere Richtung.
7. First-Party-Daten, Consent & Server-Side: kein Projekt, sondern Basis-Infra
Browser-Restriktionen, Consent-Anforderungen und wachsende Regulierung sind keine Überraschungen mehr - trotzdem laufen viele Setups 2025/26 noch wie 2018.
Der Mindeststandard 2026:
- Saubere Consent-Strategie mit klaren Opt-in-Strecken, differenzierten Zwecken (Analytics, Marketing, Personalisierung) und technisch durchgängiger Umsetzung.
- Server-Side-Tagging für zentrale Kanäle, um den Browser zu entlasten und stabilere Signale für Ads- und Analytics-Plattformen zu liefern.
- Eine tragfähige First-Party-ID-
Strategie, die Login-, Mitglieder- oder Kundenprogramme nutzt und eindeutige IDs bereitstellt, die sich rechtssicher über Kanäle hinweg verbinden lassen.
Das alles ist keine Innovation, sondern die Basis, damit AI-Bidding, MMM light und Co-Pilots überhaupt ausreichend und qualitativ gute Signale erhalten.
Wichtige Konsequenzen 2026
- Consent-, Tagging- und ID-Konzept als gemeinsames Infrastruktur-Projekt von Marketing, IT, Legal und Datenschutz aufsetzen.
- Wo sinnvoll, früh auf Server-Side-
Implementierungen umstellen (z. B. via Server-GTM). - First-Party-Programme (Login, Newsletter, Kund:innenclubs) aus Analytics-Sicht mitdenken - nicht nur aus CRM-Perspektive.
8. Saubere Datenmodelle & KPI-Definition - das ungeliebte, aber entscheidende Thema
Viele C-Level-Runden scheitern an einer einfachen Frage: „Was meint ihr genau mit Conversion?“
Solange jede Abteilung etwas anderes darunter versteht, bleibt Analytics Kosmetik.
2026 überfällig sind:
- ein gemeinsames KPI-Glossar - von C-Level bis Werkstudent,
- klare Definitionen von Leads (MQL, SQL, Opportunity, Customer), harten vs. weichen Conversions, Umsatz vs. DB, CLV, Churn, Retention,
- sowie ein Datenmodell, das diese Definitionen technisch abbildet - idealerweise in einem Data Warehouse mit einer CDP-ähnlichen Schicht, ohne zwingend ein zusätzliches CDP-Tool zu benötigen.
Statt auf volatile Plattform-IDs sollte stärker auf eigene User-IDs sowie konsistente Keys gesetzt werden, über die Daten aus Ads-Plattformen, CRM, Shop, Support und Produkt zusammengeführt werden können. Nur damit lassen sich Enhanced Conversions, Offline-Signale und Modellierungen wirklich sinnvoll nutzen.
Wichtige Konsequenzen 2026
- Ein gemeinsames KPI-Set inkl. SMARTer Ziele definieren und verbindlich dokumentieren.
- Ein sauberes Datenmodell im BI-Stack aufsetzen (inkl. User-IDs, Quellen-Mapping, Attributionslogik).
- Erst auf dieser Basis KI-Modelle, MMM und Inkrementalitätsanalysen ernsthaft ausrollen.
9. Analytics als Organisationsaufgabe - nicht als Ein-Personen-Team
Der vielleicht unterschätzteste Punkt: Analytics funktioniert nur, wenn Rollen, Verantwortlichkeiten und Skills mitwachsen.
Was es 2026 braucht, ist mindestens eine Rolle wie Head of Analytics / MarTech / Growth, die zwischen IT, Marketing, E-Commerce und Finance vermittelt und eine Roadmap verantwortet. Dazu kommen Enablement-Programme für alle, die mit Daten arbeiten - vom Marketing über Vertrieb und Produkt bis hin zum Management.
Genauso wichtig ist Governance: Wer entscheidet was auf Basis welcher Daten? Wie werden Experimente geplant, dokumentiert, evaluiert? Ohne diese Struktur entstehen zwar immer neue Dashboards, aber keine besseren Entscheidungen.
Wichtige Konsequenzen 2026
- Analytics organisatorisch so verankern, dass es strategische Verantwortung tragen kann, nicht nur Reporting liefert.
- Schulungsprogramme aufsetzen, die Data Literacy, Arbeiten mit Co-Pilots und Interpretation von Ergebnissen vermitteln.
- Klare Prozesse für Tests, Freigaben und Dokumentation etablieren - inklusive Entscheidungsvorlagen für das Management.
10. Bonusgedanken aus dem Analytics-Alltag
Einige Entwicklungen sind weniger „Trend“ als handfestes Handwerkszeug, aber hoch relevant:
Erstens entwickelt sich GA4 mit BigQuery-Export zunehmend zum Marketing-Hub. Die Oberfläche bleibt begrenzt, doch in BigQuery lassen sich eigene Attributionslogiken, Zielgruppenmodelle und Machine-Learning-Use-Cases aufbauen. Tools wie Dataform oder dbt helfen, den semistrukturierten Export in saubere, wiederverwendbare Modelle zu übersetzen - inklusive Versionierung, Tests und modularer Pipelines.
Zweitens scheitern Analytics-Projekte selten an der Technik, sondern an Fokus und Akzeptanz. Wer „alles tracken“ will, liefert häufig nichts, was jemand wirklich nutzt. Erfolgreicher sind Projekte, die mit klar priorisierten Use Cases starten, Scope in Phasen teilen (Must-Haves vs. Nice-to-Haves) und von Beginn an alle relevanten Stakeholder - inklusive IT - ins Boot holen.
Drittens lohnt sich der Blick auf neue Features wie Projection und Scenario Planner in GA4: Sie erlauben Prognosen von Conversions und Szenarien bei geänderten Budgets - ein weiterer Schritt, mit Analytics nicht nur zu erklären, sondern zu planen.
Wichtige Konsequenzen 2026
- GA4-Rohdaten konsequent exportieren, transformieren und für Attribution, Zielgruppen und Modellierung nutzbar machen.
- Analytics-Projekte immer mit klaren Use Cases und Business-Zielen starten, nicht mit Tool-Listen.
- Neue Analyse-Features (Projection, Scenario Planning etc.) gezielt einsetzen, um Budget-Entscheidungen zu unterstützen.
Fazit
Analytics 2026 besteht aus zwei Ebenen, die untrennbar zusammengehören:
- Neue Spielregeln: AI-native Analytics, Answer- & Agent-Interfaces, Realtime-Streaming, MMM light, Growth-Analytics.
- Überfällige Grundlagen: SMARTe Ziele, Profit-Orientierung, First-Party & Server-Side, saubere KPIs, klare Organisation und Prozesse.
Wer nur auf das Neue starrt, baut KI auf Sand.
Wer seine Hausaufgaben macht und die neuen Möglichkeiten nutzt, etabliert ein Analytics-Betriebssystem, das nicht nur erklärt, was passiert ist - sondern aktiv hilft, Wachstum, Profit und Kundenerlebnis zu steuern.








